Saturday, September 14. 2024
Unvorstellbar
Sehr empathisch ist schwer, altruistisch ist armselig, so oder so ähnlich impft mich meine Psychologin regelmäßig. Die Probleme anderer Menschen sind nicht naturgemäß meine, ich bin Zuschauerin meiner Gefühle. Ich kann mich abgrenzen. Wir stellen uns Situationen!
Wie neulich im Freibad, geheiztes Wasser, aber 8 Grad Lufttemperatur. Als wir dort ankamen, stand ein älterer Mann, in ein Handtuch gewickelt, leicht zitternd an der Kasse und erklärte, dass sein Spindschlüssel weg sei. Das Band, ein dunkelblaues Geflecht, saß noch vorschriftsgemäß an seinem Handgelenk. Die Kassenfrau hatte wohl selbst keinen Generalschlüssel, denn sie griff sofort zum Telefon. Sie forderte den Mann auf, noch mal nachzuschauen, wo der Schlüssel vielleicht liegen könne, er solle die Orte absuchen, an denen er gewesen war. Zögerlich, da bereits etwas verzweifelt, machte der Mann sich auf den Weg Richtung Schwimmbecken.
Bei mir kickte inzwischen die Hilfsautomatik ein. Ich war schon innerlich auf dem Sprung: Wo waren Sie denn? Vielleicht kann ich suchen helfen? Da erklang die Stimme von Ali (so nenne ich meine Psychologin, eigentlich heißt sie Alexandra). Nicht jedes Problem anderer Menschen ist das Ihre. Seien Sie Zuschauerin Ihrer Gefühle. Die ganze Dosis, und sie wirkte. Mein Innerstes schüttelte sich wie ein nasses Hundemädchen und ich lief zu einem Spind, um mich schwimmfertig zu machen. Das gelang mir rasch, da ich den Badeanzug in der Regel bereits unterziehe.
Das Wasser dampfte, als ich, kurz kalt abgeduscht, zum Becken kam. Kaum jemand war zu sehen, es war noch früh und nicht viele hatten ihr Bett für ein paar Bahnen hier verlassen. Sie wussten eindeutig nicht, was ihnen entging.
Ich setzte die Schwimmbrille auf und stürzte mich hinein in das genau richtig temperierte Nass. Wenn ich die Wasseroberfläche von zwei Seiten betrachten kann, wenn, wie jetzt, die letzte Septembersonne ein paar ihrer Lichtkringel auf den Beckenboden malt, wenn das Wasser mich vollkommen umgibt, dann bin ich in meinem Element. Dabei bin ich durchaus kein Profi, ich schwimme wie ein Frosch, abwechselnd über und unter Wasser, daher die Schwimmbrille. Nur so kann ich auch die beschriebenen Eindrücke mitnehmen.
Ich hatte gerade erst ein paar Schwimmzüge getan, am Boden den Beckens nach Sonnenkringel spähend, da sah ich ihn, er blinkte nicht einmal und stach mir dennoch ins Auge. Da lag der verflixte Schlüssel! Was blieb mir übrig, ich tauchte. Zurück am Beckenrand winkte ich einen der türkisbekleideten Bademeister heran und übergab ihm das Fundstück. Er bedankte sich überschwänglich, wusste offenbar von dem Mann in Schlüsselnot.
Ich sprang zurück ins Wasser und sinnierte über die Ironie des Schicksals, und was Ali wohl davon halten würde.
Wie neulich im Freibad, geheiztes Wasser, aber 8 Grad Lufttemperatur. Als wir dort ankamen, stand ein älterer Mann, in ein Handtuch gewickelt, leicht zitternd an der Kasse und erklärte, dass sein Spindschlüssel weg sei. Das Band, ein dunkelblaues Geflecht, saß noch vorschriftsgemäß an seinem Handgelenk. Die Kassenfrau hatte wohl selbst keinen Generalschlüssel, denn sie griff sofort zum Telefon. Sie forderte den Mann auf, noch mal nachzuschauen, wo der Schlüssel vielleicht liegen könne, er solle die Orte absuchen, an denen er gewesen war. Zögerlich, da bereits etwas verzweifelt, machte der Mann sich auf den Weg Richtung Schwimmbecken.
Bei mir kickte inzwischen die Hilfsautomatik ein. Ich war schon innerlich auf dem Sprung: Wo waren Sie denn? Vielleicht kann ich suchen helfen? Da erklang die Stimme von Ali (so nenne ich meine Psychologin, eigentlich heißt sie Alexandra). Nicht jedes Problem anderer Menschen ist das Ihre. Seien Sie Zuschauerin Ihrer Gefühle. Die ganze Dosis, und sie wirkte. Mein Innerstes schüttelte sich wie ein nasses Hundemädchen und ich lief zu einem Spind, um mich schwimmfertig zu machen. Das gelang mir rasch, da ich den Badeanzug in der Regel bereits unterziehe.
Das Wasser dampfte, als ich, kurz kalt abgeduscht, zum Becken kam. Kaum jemand war zu sehen, es war noch früh und nicht viele hatten ihr Bett für ein paar Bahnen hier verlassen. Sie wussten eindeutig nicht, was ihnen entging.
Ich setzte die Schwimmbrille auf und stürzte mich hinein in das genau richtig temperierte Nass. Wenn ich die Wasseroberfläche von zwei Seiten betrachten kann, wenn, wie jetzt, die letzte Septembersonne ein paar ihrer Lichtkringel auf den Beckenboden malt, wenn das Wasser mich vollkommen umgibt, dann bin ich in meinem Element. Dabei bin ich durchaus kein Profi, ich schwimme wie ein Frosch, abwechselnd über und unter Wasser, daher die Schwimmbrille. Nur so kann ich auch die beschriebenen Eindrücke mitnehmen.
Ich hatte gerade erst ein paar Schwimmzüge getan, am Boden den Beckens nach Sonnenkringel spähend, da sah ich ihn, er blinkte nicht einmal und stach mir dennoch ins Auge. Da lag der verflixte Schlüssel! Was blieb mir übrig, ich tauchte. Zurück am Beckenrand winkte ich einen der türkisbekleideten Bademeister heran und übergab ihm das Fundstück. Er bedankte sich überschwänglich, wusste offenbar von dem Mann in Schlüsselnot.
Ich sprang zurück ins Wasser und sinnierte über die Ironie des Schicksals, und was Ali wohl davon halten würde.
Sunday, September 1. 2024
Rot und schwarz ergibt braun
Wednesday, July 10. 2024
Beschworen
Oder: Wie, wann und weshalb, ach, und wo vielleicht noch
Wenn ich beim Schreiben, statt zu schreiben, vor mich hin schaue, weil ich über etwas nachsinne, was ich gerade Interessantes online gelesen habe, und eine sehr kleine Fliege sich genau dann auf meine Tastatur setzt, wenn ich wieder zu schreiben beginnen will, und mich durch ihre bloße Existenz daran hindert, das zu tun, was ich möchte, gerate ich in einen Konflikt, weil ich plötzlich den Gedanken nicht loslassen kann, dass diese Fliege, dieses winzige Leben, das Recht auf letzteres hat, nicht nur, weil sie vielleicht die Reinkarnation des Autors ist, dessen uralte Schreibe gerade wenige Minuten zuvor mein Interesse geweckt hat, sodass ich intensiv über die seinen Geist erfüllenden Inhalte nachgedacht habe. Der Konflikt wiederum ist nicht etwa dergestalt, dass ich die Fliege verscheuchen oder gar töten möchte, es ist vielmehr ein Staunen darüber, welche Vielfalt ihre Miniaturflügel repräsentieren, weshalb ich plötzlich der Meinung bin, dass alles, was ich je in diese Tatstatur, die hier vor mir liegt, hineinhämmern könnte, niemals von solcher Bedeutung sein könnte und zugleich vollkommen bedeutungslos im Weltgeschehen wie diese Fliege, sodass ich am Ende nichts mehr zu schreiben weiß.
Wenn ich beim Schreiben, statt zu schreiben, vor mich hin schaue, weil ich über etwas nachsinne, was ich gerade Interessantes online gelesen habe, und eine sehr kleine Fliege sich genau dann auf meine Tastatur setzt, wenn ich wieder zu schreiben beginnen will, und mich durch ihre bloße Existenz daran hindert, das zu tun, was ich möchte, gerate ich in einen Konflikt, weil ich plötzlich den Gedanken nicht loslassen kann, dass diese Fliege, dieses winzige Leben, das Recht auf letzteres hat, nicht nur, weil sie vielleicht die Reinkarnation des Autors ist, dessen uralte Schreibe gerade wenige Minuten zuvor mein Interesse geweckt hat, sodass ich intensiv über die seinen Geist erfüllenden Inhalte nachgedacht habe. Der Konflikt wiederum ist nicht etwa dergestalt, dass ich die Fliege verscheuchen oder gar töten möchte, es ist vielmehr ein Staunen darüber, welche Vielfalt ihre Miniaturflügel repräsentieren, weshalb ich plötzlich der Meinung bin, dass alles, was ich je in diese Tatstatur, die hier vor mir liegt, hineinhämmern könnte, niemals von solcher Bedeutung sein könnte und zugleich vollkommen bedeutungslos im Weltgeschehen wie diese Fliege, sodass ich am Ende nichts mehr zu schreiben weiß.
Thursday, April 18. 2024
Vom Nutzen einer Meinung
Auf die "Frage an die Leserschaft: Was meinen Sie, gibt es geeignete Gegenbeispiele, in denen es gute praktische Gründe gibt, warum man sich unbedingt eine Meinung bilden sollte?" zum Essay "Weiß nich‘, mir egal. – Über Meinungsenthaltung" von Alexandra Zinke, https://www.philosophie.ch/2018-12-24-zinke, vom 17.01.2024
Gegenfrage: Was bedeutet Meinung hier? Nicht das Wort an sich oder deren verabredete Bedeutung. Ich meine, was bedeutet Meinung in Bezug auf die Pflicht? Denn ich sehe Meinung dann mit Pflicht verbunden, wenn "eine Meinung haben" von einem wertvollen Nutzen ist, wertvoll in Bezug auf die Allgemeinheit, ja sogar die Gemeinschaft aller Lebewesen.
Zwar ist im Essay nicht direkt die Rede von Nutzen oder Wert, nicht einmal von Wertung. Versteckt gibt es den Nutzenaspekt aber doch in den verwendeten Beispielen. Er versteckt sich nur ein wenig.
Falls Anna nämlich ein gesteigertes Interesse an Ben haben sollte, sollte eine zweifelsfreie Meinung, wo Ben steckt, also eine Überzeugung, die auf Wissen beruht, ihr von Nutzen sein. Sie muss diese Meinung aber nicht wahrheitsgemäß der Freundin mitteilen, falls die auch an Ben interessiert sein sollte. Oder vielleicht ist die Freundin ohnehin hinter Ben her, was wiederum Anna missfällt, weswegen diese absichtlich lügt, weil sie eifersüchtig ist. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob sie wegen Ben oder gar wegen der Freundin selbst so handelt. Es zählt allein ihr Nutzen!
Noch klarer wird dies bei Cen, weil er, wenn sein Würfel so fällt, dass eine gerade Zahl herauskommt, gewinnen kann, was ihm wiederum Glück (hier: happiness) beschert. Darauf zielt er sicher ab, sonst würde er nicht spielen. Über sein eigenes Glück (hier: lucky chance) kann man vielleicht keine Meinung haben, ob man gewinnt oder nicht, aber wohl doch eine Überzeugung, die so stark, ja dreist ist, dass sie alle Rekorde bricht. Ich kenne einen Menschen, der schwört, die Bahn hat Verspätung, wenn er spät dran ist - und siehe da! Er bekommt auch immer einen Parkplatz, weil er das sicher weiß, wenn er in eine Straße hinein fährt. Selbstredend bekommt er beim Poker auch immer die richtigen Karten. Es ist zum Auswachsen mit ihm. Bei mir macht der Zweifel alles zunichte, weil ich es nie schaffe, nicht an einen Elefanten zu denken. Andere Geschichte.
Für Dan und ebenso für Ean ist ihre Meinung, was "heiß" ist, ebenfalls von Nutzen, weil sie sich nicht verbrennen, also keinen Schaden erleiden wollen. Hier kommt zum Tragen, dass das Hitzeempfinden für alle unterschiedlich, also subjektiv sein kann. Deshalb gibt es Thermometer, damit jeder den richtigen Grad bekommt. Auch der Genussaspekt fällt unter Nutzen; wenn man sich eine heiße Schokolade wünscht. Allerdings gehört gerade nicht dazu eine Meinung über die Frage zu haben, ob beide das gleiche Hitzeempfinden haben oder ob sie gleichermaßen genießen können. Eher ist die Meinung ebenso subjektiv wie ihr Empfinden, sie müssen probieren, um sich eine Meinung bilden zu können. Von Nutzen ist sie erneut wegen der Erfüllung oder Nichterfüllung eines Wunsches.
Der Nutzen einer Meinung ist für alle drei Beispiele evident, auch wenn "Ja" und "Nein" nicht ohne Weiteres mit positiv oder negativ gleichgesetzt werden können. Man könnte letztere Wertungen als subjektiv auffassen, ich meine aber, dass positiv immer nur eine bestimmte Meinung sein kann, denn nicht jeder Wunsch dient der Allgemeinheit. Als Beweis hierfür muss man nicht mal auf Impfdebatten zu Pandemie-Zeiten zurückgreifen. Es genügt die Anwendung eines "Volkmund-Kants" auf eine simple Frage, zum Beispiel: Soll ich mit dem Auto rasen? Wenn ich "Ja" zu meiner Maxime mache, welche zum Gesetz mutieren kann, rasen alle. Erfahrungsgemäß kommt es zu noch mehr Unfällen mit Todesfolge. Man kann auch selbst zu Tode kommen. Ergo: Die Meinung, dass man langsam fahren muss, ist von höherem Nutzen für alle! Genau deshlab ist es manchmal richtiggehend wichtig, sich eine Meinung zu bilden, dann nämlich, wenn eine bestimmte Meinung von allgemeinem Nutzen ist.
18.04.24
Gegenfrage: Was bedeutet Meinung hier? Nicht das Wort an sich oder deren verabredete Bedeutung. Ich meine, was bedeutet Meinung in Bezug auf die Pflicht? Denn ich sehe Meinung dann mit Pflicht verbunden, wenn "eine Meinung haben" von einem wertvollen Nutzen ist, wertvoll in Bezug auf die Allgemeinheit, ja sogar die Gemeinschaft aller Lebewesen.
Zwar ist im Essay nicht direkt die Rede von Nutzen oder Wert, nicht einmal von Wertung. Versteckt gibt es den Nutzenaspekt aber doch in den verwendeten Beispielen. Er versteckt sich nur ein wenig.
Falls Anna nämlich ein gesteigertes Interesse an Ben haben sollte, sollte eine zweifelsfreie Meinung, wo Ben steckt, also eine Überzeugung, die auf Wissen beruht, ihr von Nutzen sein. Sie muss diese Meinung aber nicht wahrheitsgemäß der Freundin mitteilen, falls die auch an Ben interessiert sein sollte. Oder vielleicht ist die Freundin ohnehin hinter Ben her, was wiederum Anna missfällt, weswegen diese absichtlich lügt, weil sie eifersüchtig ist. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob sie wegen Ben oder gar wegen der Freundin selbst so handelt. Es zählt allein ihr Nutzen!
Noch klarer wird dies bei Cen, weil er, wenn sein Würfel so fällt, dass eine gerade Zahl herauskommt, gewinnen kann, was ihm wiederum Glück (hier: happiness) beschert. Darauf zielt er sicher ab, sonst würde er nicht spielen. Über sein eigenes Glück (hier: lucky chance) kann man vielleicht keine Meinung haben, ob man gewinnt oder nicht, aber wohl doch eine Überzeugung, die so stark, ja dreist ist, dass sie alle Rekorde bricht. Ich kenne einen Menschen, der schwört, die Bahn hat Verspätung, wenn er spät dran ist - und siehe da! Er bekommt auch immer einen Parkplatz, weil er das sicher weiß, wenn er in eine Straße hinein fährt. Selbstredend bekommt er beim Poker auch immer die richtigen Karten. Es ist zum Auswachsen mit ihm. Bei mir macht der Zweifel alles zunichte, weil ich es nie schaffe, nicht an einen Elefanten zu denken. Andere Geschichte.
Für Dan und ebenso für Ean ist ihre Meinung, was "heiß" ist, ebenfalls von Nutzen, weil sie sich nicht verbrennen, also keinen Schaden erleiden wollen. Hier kommt zum Tragen, dass das Hitzeempfinden für alle unterschiedlich, also subjektiv sein kann. Deshalb gibt es Thermometer, damit jeder den richtigen Grad bekommt. Auch der Genussaspekt fällt unter Nutzen; wenn man sich eine heiße Schokolade wünscht. Allerdings gehört gerade nicht dazu eine Meinung über die Frage zu haben, ob beide das gleiche Hitzeempfinden haben oder ob sie gleichermaßen genießen können. Eher ist die Meinung ebenso subjektiv wie ihr Empfinden, sie müssen probieren, um sich eine Meinung bilden zu können. Von Nutzen ist sie erneut wegen der Erfüllung oder Nichterfüllung eines Wunsches.
Der Nutzen einer Meinung ist für alle drei Beispiele evident, auch wenn "Ja" und "Nein" nicht ohne Weiteres mit positiv oder negativ gleichgesetzt werden können. Man könnte letztere Wertungen als subjektiv auffassen, ich meine aber, dass positiv immer nur eine bestimmte Meinung sein kann, denn nicht jeder Wunsch dient der Allgemeinheit. Als Beweis hierfür muss man nicht mal auf Impfdebatten zu Pandemie-Zeiten zurückgreifen. Es genügt die Anwendung eines "Volkmund-Kants" auf eine simple Frage, zum Beispiel: Soll ich mit dem Auto rasen? Wenn ich "Ja" zu meiner Maxime mache, welche zum Gesetz mutieren kann, rasen alle. Erfahrungsgemäß kommt es zu noch mehr Unfällen mit Todesfolge. Man kann auch selbst zu Tode kommen. Ergo: Die Meinung, dass man langsam fahren muss, ist von höherem Nutzen für alle! Genau deshlab ist es manchmal richtiggehend wichtig, sich eine Meinung zu bilden, dann nämlich, wenn eine bestimmte Meinung von allgemeinem Nutzen ist.
18.04.24
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